Je ne comprends nichts

von Simon Libsig

Man kennt den Effekt ja mittlerweile, wenn Mütter zu ihren Kindern sagen „Zieh was warmes an, es wird kalt werden“, dann glauben die‘s erst mal nicht, bis sie auf dem Spielplatz mit der Zunge an der Rutsche kleben bleiben, sich beim Versuch, in eine gefrorene Wasserpfütze zu springen, den Fuß brechen oder sich am erstarrten Schnuller einen Milchzahn ausbeissen. Mütter sind die besten Wetterfrösche, da gibt’s überhaupt keinen Zweifel.
Dass Französischlehrer jedoch vergleichbare hellseherische Fähigkeiten für sich beanspruchen können, hatte ich bisher stets militant bezweifelt. Ratschläge wie „es wäre sinnvoll, wenn Sie die Verben auch im Plural könnten“, schlug ich in den Wind, schließlich war ich ja eh immer alleine. Ebenso weigerte ich mich, den Konjunktiv zu gebrauchen. Ich war 14 Jahre altklug, hatte meine eigene Meinung, stand dazu, brauchte nicht mit irgendwelchen „hätte“- oder „möge“-Formen rumzuglucksen. Konjunktiv ist was für Drückeberger, dachte ich damals, und drückte mich erfolgreich davor. Von meinen drei Französischgrammatiken verscherbelte ich eine bei unserem letzten Garagenverkauf, die beiden anderen wurden kurzer Hand als fossile Brennstoffe deklariert.
Tja, und wie das dann so ist, ich wurde älter, tauschte meine über die Jahre gesammelten Mickey Mouse Hefte gegen einen Weltatlas ein, das Ausland mit seinen verschiedensten Sitten und Unsitten, Sprachen und Schopping-Centern wirkte aphrodisierend, ich wollte weg.
Paris sollte mein Planschbecken für interkulturelle Tauchgänge sein, ein Sandkasten für Burgen aus zuckersüßem Charmeur-Akzent. Oh Scheri, Dein Pfirsisch-Popo macht misch ganz Karussell in meine Kopf....es würde herrlich werden, ich war mir sicher.

Mit Charmeur war dann jedoch erst mal nicht viel los, dafür um so mehr mit Akzent. Am Tag meiner Ankunft schaffte ich es nicht mal, mir im „hôtel de ville“ ein Zimmer zu nehmen, sprachen-technisches K.O. in der ersten Runde. Ich hatte das Gefühl, als wollten die mich gar nicht verstehen, gemein, schließlich hatte ich auch nicht so ein dickes Fell.
Das Ausland, wo dich niemand kennt, du neu beginnen, in Rollen schlüpfen, du Charaktereigenschaften wie Hemden wechseln kannst, nur mal so zum Ausprobieren, vorausgesetzt, es klappt mit der Sprache. Versuch mal witzig zu sein, wenn du Pointen nicht über die Zunge bringst, überlegt und bedacht, wenn Du innerlich in aller Hektik nach Worten suchst. Wenn’s schon bei banalen Sätzen mit der Syntax hapert, wird’s im Oberstübchen wohl auch nicht allzu geordnet aussehen, denken sich viele, drücken dir nach dem ersten Gespräch den Debilen-Stempel auf die Stirn.
Die ersten paar Wochen Paris dümpelte ich, linguistisch gesehen, auf dem Intelligenzniveau eines „pain au chocolat“ rum, mit dem Unterschied, daß jeder und jede „pain au chocolat“ kennt und mag. Mehrmals blieb ich mit meiner Zunge am Konjunktiv kleben, biss mir an „le“ und „la“ den einen oder anderen Milchzahn aus. Dann war ich es satt, hatte, genug genickt ohne wirklich zu verstehen, es war Zeit Grammatik und Vokabeln zu büffeln, meinen ehemaligen Französischlehrer zu rehabilitieren.
Bald schon konnte ich ohne größeres Aufsehen zu erregen bei Mc Donalds ein Happy meal bestellen, war nicht länger auf Lebensmittellieferungen von Freunden und Bekannten aus dem Ausland angewiesen, das Leben wurde angenehmer, begann sogar richtig Spaß zu machen.
Ich war gewillt, mich auf qui und que einzulassen, lernte die exotischsten Stellungen des französischen Sprachen-Kamasutras, suhlte mich im Passé-Composé-Sumpf.
Ich fand meine Sprache, konnte mich endlich ausdrücken, mir den Mund fusselig quatschen, verstand so einiges, was vorher verschlüsselt schien, verstand, daß das „hôtel de ville“ das Rathaus war. Paris, je t’aime.




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