Der Mörder vor meiner Tür

von Renato Kaiser

Ich sass am Bahnhof Rorschach Hafen, und besass ein Ticket, das ich eben gerade erstanden habe, der Zug sollte ihn zehn Minuten eintreffen, und trotz dem kläffenden Hund, mit überschüssigen Pfunden, er war rund und sah aus wie eine Wurst mit Beinen, war ich relaxt. Und die anderen Leute um mich herum ebenfalls. Auf jeden Fall habe ich das gemeint, doch das war nicht wahr, denn allzu spät wurd mir dann klar, dass nicht der Hund das Problem war.

Leider war es dann auch schon zu spät und die Falle hat zugeschnappt,
ich war fällig, denn der Zufall hat das Urteil gefällt,
und eine Dame der Freikirche neben mich gestellt,
die hat dann geredet wie ein Wasserfall.

Und nicht wie irgendein süsser kleiner Wasserfall, der von Steinchen zu Steinchen hüpft, nein. NIAGARA!! NIAGARA!!!!

Niagarnie hätte ich mich freiwillig mit ihr unterhalten, doch nun machte sie Gestalten, sich eben genau so zu verhalten, "ach halt doch den Mund" dachte ich mir. "Rund" dacht ich weiter, "Rund wär ich jetzt gern, und ein Hund, so ein breiter, wie die Wurst da mit Beinen, seine Kekse möchte ich mir einverleiben, dumm und treu bleiben, wie ein Hund, Stöckchen apportieren, auf allen Vieren durch die Gegend gehen, und meinetwegen solln sie mich dann auch kastrieren, das alles würd ich preferieren anstatt mit Freikirchen-Ffffffrauen zu diskutieren. Aber eben: Der Zufall hat sie mir zugeteilt.

Und da hat er auch schon losgesprudelt, der Wasserfall: "Jeeeeeeeeeesus Chrrrrrrrrrrrischtus hät alli Mensche gäääääääärn, au jungi Lüüüt wie di!!"
Bereits bei "Jeeeeeeeeeeeeesus Chrrrrrrrrrrischtus" war ihre Verwandlung zum Wasserfall abgeschlossen. Denn mit jedem weiteren abgeschossenen "sch, ss, pf und ts" bewies sie mir, dass Wasserfälle nicht nur schrecklich laut sind, sondern auch eine verdammt feuchte Aussprache haben.

Ganze neun Minuten habe ich alsbald gegen die regenartige Wortgewalt, die auf mich herab prasselte und mich einen Ungläubigen schalt, ankämpfen müssen, mit Mund, Händen und Füssen. Dann kam mir endlich die vermeintliche Zauberformel in den Sinn: "Und wie schtohts denn mit junge muslimische Lüüt, so wie mir?"
Hahaa, meine Geheimwaffe ist abgefeuert! Schach-Matt! Na, was sagst du jetzt?

"Denn müend sie halt möglichsssssscht ssssssschnell Chrrrrrrrrrrischt werde!!!" Sprachs, sprühte noch mehr Regen, nahm mir jeglichen Wind aus den Segeln und bekehrte mich weiter. Doch weiter sollte es zum Glück nicht kommen, endlich nahte meine Rettung, beziehungsweise der Zug, ich war jetzt am Zug, Schnelligkeit war gefragt, und gesagt, getan, setzte ich zum Spurt an, rannte über den Bahnsteig, machte einen riesen Satz durch die halbgeöffnete Türe auf die Zugsplatte, Tell wäre stolz auf mich gewesen...

Ich hetzte durch den Zug, im meinem Nacken stets der hysterische Freikirchen-Exorzist. Doch ich war schneller, geschickter und wendiger, ich warf mich hinter den nächsten Sitz, schaute nach oben, unten, links und rechts, ob die Leibhaftige noch da war. Doch ich hatte sie tatsächlich abgehängt.

Entspannt liess ich mich auf den Stuhl plumpsen und wagte ein paar schüchterne Blicke in mein Abteil. Rechts neben mir sass einen ältere Dame, vor mir eine junge, blonde Frau, sehr elegant gekleidet und auch sonst sehr ansehnlich.

Der Vorfall lieferte natürlich genug Stoff für Small-Talk. "Jetz wönds äfang scho die Junge bekehre." meinte die nette Dame neben mir. "Jojo, isch halt scho so..." sagte ich. Sonst finde ich Small-Talk ja nicht sehr prickelnd, aber in jenem Moment war er Balsam für meine Seele.

Und als wäre dies nicht schon genug des Guten, stieg auch die attraktive Blonde darauf ein: "I gwüssä Pünkt hät sie jo scho rächt, aber sie verherrlicht Jesus chli z'fescht..."

Sachverständig wie ich bin, bin ich natürlich sofort darauf eingegangen und habe doziert, dass man die Bibel freilich nicht so wörtlich verstehen könne, wie es die Dame vorhin gemacht habe. Ausserdem sei die Bibel ja anfangs nur mündlich überliefert worden, so wie die Märchen der Gebrüder Grimm oder so...

Nach dieser Antwort - Fünf Minuten Stillschweigen.

Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht? Ich wagte aber einen weiteren Anlauf, schliesslich war sie ja blond und attraktiv... "Wo gohts eigentlich ane, so schick agleit?" - "Hihi, danke,..., jo ähm, i gang id Ch...., hm, öh..." - "Ah, id Chirche?" - "*räusper*, öh,..., nei, mir nenneds nöd Chirche, mir nenneds..., ä...., Versammlig..."

Das war der Augenblick, in dem sich der Wolf dann Stück um Stück aus dem Schafspelz herausschälte, was mich sogleich zutiefst quälte, denn: mit jedem weiteren Wort wurde sie ein Stückchen weniger attraktiv...

"Ich

bi

bidä

Zeuge Jehovas!!"

"JEEEESUSSSSS CHRISSCHTUS!!" jagte es mir durch den Kopf, ich atmete schneller, der Angstschweiss stand mir auf der Stirn, ich wollte schreien, wegrennen, flüchten, ausbrechen!!! Doch mach das mal in einem Zug. Mein Schicksal war besiegelt.
Das hübsche blonde Schäflein hatte sich in einen hässlichen Wolf verwandelt. Ihre gefährlichste Waffe waren aber etwa nicht riesige scharfe Reisszähne, sondern ihr geöltes Mundwerk:
(Schnell gesprochen) "Mir vo dä Zeuge Jehovas wönd ä möglichscht sündefreis Läbä füehre und Gott zeige, dass mir würdig sind fürs Paradies, idä Bible schtoht mir sölled üs nöd beflecke, d.h. kein Sex vor dä Ehe, nöd rauche und Alkohol nur in Masse. So chömer Gott zeige, das mir bereit sind fürs Paradies, Leider hani kei Broschüre däbi, süs hetti dir eini geh!"

"Liebes Kind, hörst du dir auch selber zu? Du bist bereits eine wandelnde Broschüre!" habe ich gedacht. Gesagt habe ich, dass ich als bekennender Doppelsünder meine Chance aufs Paradies sowieso bereits verspielt hätte, doch auch damit konnte ich sie nicht ruhig stellen "Nei, nei, kein Mensch isch vollkomme, wer Reue zeigt, törf bi üs bitrete! Du wirsch nöd glaube, wie viel Dieb und Mörder jetzt bi üs sind!"

Und was ist die Moral von der Geschichte?
Frauen nach ihrem Äusseren zu beurteilen ist tatsächlich falsch.
Sei nicht offen und kontaktfreudig und flirte nicht! Die heisse Blonde vor dir könnte ein Zeuge Jehovas sein.

Und das Wichtigste: Nimm dich in Acht, wenn ein Zeuge Jehovas an deine Türe klopft - Es könnte ein Dieb und Mörder sein.




dein feedback zum text (direkt an die/den autorIn):
name
e-mail

Leserbrief im Forum schreiben...


zurück zur Übersicht

Geschichten
Der Mörder vor meiner Tür
Liebe-ist-nicht-wahr!
Warum ruhst Du heute noch

Gedichte
Ich will einmal nen Slam gewinnen

story.ch mithilfe von google.com ganz einfach durchsuchen...


story.ch Newsletter

E-Mail

... und hier das Archiv der Newsletter zum Ansehen.

(Der story.ch Newsletter kann jederzeit abbestellt werden - mit dem angemeldeten Absender eine E-Mail senden.)


story.ch präsentiert: Mein|Eid, das neueste Büchlein von Patrick Armbruster. Für nur noch 7 Franken!


story.ch ist die Plattform für elektronische Verbreitung literarischer Werke junger AutorInnen. Die Themen reichen von Alltagsgrau, urbanem Leben über Liebe, Leidenschaft, Erotik bis hin zu fantastischen Märchen.

©1997-2009 by Patrick Armbruster & story.ch, die grösste Schweizer Online-Literaturplattform